Historische Ereignisse: Gemeinde Fichtenau

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Historische Ereignisse

Die Fluchtburg

Ein Beitrag zur Besetzung Wildensteins durch das amerikanische Militär im Mai 1945 aus der Erinnerung des damals kaum drei Jahre alten, heute 78jährigen Zeugen unter Betrachtung des Sprachen- und Dialektwirrwars der Kriegsflüchtlinge aus vielen Teilen Europas

von Dr. Hasso von Haldenwang,
Menton, Frankreich im August 2020.

In dem überschaubaren Dörfchen Wildenstein, heute zur Gesamtgemeinde Fichtenau gehörend, im äußersten Nordosten Württembergs, besteht noch immer eine echte Dialektgrenze zwischen dem Hohenlohe-Fränkischen und dem Schwäbischen. Die „Urbevölkerung“, zumeist reformierte Bauern und Handwerker, pflegten das Fränkische. So verhält es sich beispielsweise in den westlich von Wildenstein gelegenen Orten Gunzach, Grossen- und Wäldershub, und dem nordöstlichen Rötlein. Im südlichen Teil von Wildenstein lebten hingegen überwiegend katholische Händler, die fast ausnahmslos schwäbisch sprachen. Dies galt etwa für die südlich und südöstlich gelegenen Nachbarorte Matzenbach und Unterdeufstetten, teilweise auch für Lautenbach.

Wie vielerorts hatte der niedere Adel nach dem 30jährigen Krieg “allerlei fremdes Volk“ in den nahezu verödeten Dörfern angesiedelt. Dabei handelte es sich um heimatlos gewordene Opfer des verheerenden Krieges, die mehrheitlich aus dem Schwäbischen stammten. Dies geschah zur Schaffung von „Einnahmequellen“, weil die neuen Siedler jährlich „Schutz-“ oder „Kopfgeld“ an die Herrschaft entrichten mussten. Da diese Zuwanderer lediglich ein winziges Häuschen, aber kein zur bewirtschaftendes Land erwerben konnten, blieb ihnen nichts übrig, als den Lebensunterhalt im Tagelohn und mit Hausierhandel zu bestreiten. Neben selbstgefertigten Bürstenwaren und Holzarbeiten vertrieb man Textilien, Galanterieartikel, Steingut und Ähnliches in der näheren Umgebung, reiste aber zum Verkauf auch mit Planwagen bis ins Elsass, nach Tirol und selbst nach Ostpreußen. Um die wichtigsten Informationen vor Unkundigen geheim zu halten, bediente man sich unterwegs (uf dr Rois), aber auch im Alltag einer Sondersprache (Geheimsprache), dem sogenannten Jenischen (Rotwelsch-Dialekt), das man vielerorts im gesamten deutschsprachigen Raum mit oft erheblichen Unterschieden findet. Bemerkenswert ist, dass es sich dabei nicht um eine „Sprache“ im eigentlichen Sinn handelt, sondern dass einzelne Worte (Lexeme) durch Begriffe ersetzt werden, die sich dem Uneingeweihten nicht erschliessen. Als Spendersprachen gelten vor allem Hebräisch, Jiddischdeutsch, Romani-Dialekte (Manisch), Sintes, aber auch Französisch und Italienisch. Selbst slawische Wurzeln sind bezeugt. Schon vor 500 Jahren sind im liber vagatorum (1510) ähnliche Wortformen verzeichnet. Als Warnung vor anrückender Polizei forderte man den Kollegen beispielsweise wie folgt zum eiligen Verschwinden auf: „Fiesel natsch, d'Gliste tschefft!“ Obwohl man viele Begriffe auch in der Alltagssprache benutzte, ist diese „Kunstsprache“ heute leider fast ausgestorben.

Meine Brüder Emich, Michael und ich wuchsen im Schloss mit den beiden in Wildenstein gesprochenen Dialekten und dem Jenischen auf und erlernten alle drei fast so gut wie die Einheimischen. In unserer Familie pflegte man neben einem passablen Hochdeutsch gelegentlich den angestammten Dialekt. Unser Großvater mütterlicherseits, Georg Freiherr Hofer von Lobenstein, Oberst in beiden Weltkriegen, Protestant, Patronatsherr und waschechter Pruzze, verfiel des öfteren in seinen Berliner Dialekt. Beispielsweise zitierte er gern den bekannten Spruch: „Ick sitze da un esse Klopps, uff eemal klopps. Ick jeh hinaus un kiike, un wer steht draussen? Iike!“ Hildegard, katholisch, wegen ihres Mannes zum Protestantismus konvertiert, später wieder rekonvertiert, eine geborene Gräfin von Leiningen, stammte aus dem nämlichen Ort in der Pfalz. Aus wohlhabendem Haus wuchs sie dank einer Gouvernante mit Deutsch und Französisch auf. Dazu kam später noch Englisch aufgrund häufiger Sommeraufenthalte in südenglischen Badeorten. Ihre Tochter Adelheid Freiin Hofer von Lobenstein, unsere Mutter, Protestantin, Karlsruherin, verleugnete ihren Dialekt nicht, wenn sie darüber witzelte: „Draai waaiche Aaier in aainere Raaih.“ Daneben bediente sie sich gelegentlich einiger elsässischer Brocken. Beispielsweise fragte sie, wenn uns Kindern unwohl war: „Hasch Du a Mall em Büüch?“ Unser Herr Vater, Maximilian von Haldenwang, im Kloster Ettal strengstens katholisch erzogen, bezeichnete sich im Dritten Reich als „gottgläubig, Klasse I“, ein Begriff, der aus dem Nationalsozialismus stammt und diejenigen meint, die die Kirche offiziell verlassen hatten, aber immer noch an einen Gott glaubten.

Schon vor Kriegsende bekamen wir Einquartierungen von sogenannten Ausgebombten aus dem Rheinland, die unter dem Vorrücken der Alliierten im Westen Deutschlands fliehen mussten. Dabei erinnere ich mich zunächst an Fräulein Störmann, die in der zweiten Etage des Schlosses einquartiert wurde. Sie machte sich nützlich, indem sie uns mit ihren Nähkünsten beistand. Da sie im Familienkreis mit uns dinierte, schickte mich meine Mutter, sie freundlich herunter zu bitten. Ein wenig amüsiert folgte sie mir. Als Dreikäsehoch hatte ich sie so höflich ich konnte eingeladen mit den Worten : „Fräulein Törmann, mr esset hetzt“.

Dann wurde dem sogenannten Notarhaus, dem früher zum Schloss gehörenden „Vikarshäusle“, die aus Essen geflohene Kriegswitwe Frau Tersteeken mit ihren zwei Kindern zugewiesen.

Peter Heim, Schriftsteller, kam mit seinen in Stuttgart ausgebombten Eltern in der sogenannten Kegelbahn im obersten Stockwerk des Schlosses unter. Professor Otto Heim, sein Vater, war ein bedeutender bildender Künstler, dem ich sogar Modell für eine Rötelzeichnung sitzen durfte. Angesichts der vorrückenden Westfront und seiner schmerzlichen Erfahrung empfahl er, im Garten einen bombensicheren Bunker zu bauen. Sogleich packte er eine Schaufel und begann am Nordende unseres Parks im dichten Buschwerk ein Loch zu graben, das mindestens vier erwachsenen Personen Schutz bieten sollte. Dieser Unterstand wurde jedoch nur einmal benötigt, und zwar von einem jungen Wildensteiner, der, nachdem er im Dorf eine Kuh gestohlen und im Wald geschlachtet haben soll, von der Polizei gesucht wurde. Er verbarg sich in dem Unterschlupf, bis die Gefahr seiner Entdeckung vorüber war. Dann verdingte er sich, wie man munkelte, für Jahre in der französischen Fremdenlegion.

Im Zeitpunkt des Waffenstillstands im Mai 1945 übertrugen sich Furcht und Beklemmung der Erwachsenen offenbar so sehr auch auf mich, dass sich mir viele Ereignisse fest einprägten. Ohne besondere Vorwarnung oder gar Einladung baten uns Verwandte, aber auch völlig Fremde um Unterschlupf. Mit dem Vorrücken der amerikanischen Truppen in die Mitte Süddeutschlands tauchten in unserem kleinen Ort plötzlich versprengte Menschen aus Polen, Ungarn, Italien und der Tschechoslowakei auf. Mit dem Einmarsch der Amerikaner in Wildenstein kam zu dem Sprachenwirrwarr schließlich noch (amerikanisches) Englisch hinzu.

Als eine größere Einquartierung amerikanischer Truppen bei uns nicht mehr abzuwenden war, mussten Heims bei Herrn Kümmerle, dem sogenannten Willes, in der damaligen Ziegelgasse unterkommen. Sohn Peter verliess seine Eltern gegen den ausdrücklichen Willen seiner Mutter. In ihrer neuen Unterkunft modellierte der Professor dann meinen Kinderkopf. Von seiner stark schwäbelnden Frau erhielt sich in unserer Familie folgende Unterhaltung, wenn den Herrn Professor eine aus seiner Sicht banale Angelegenheit beschäftigte, die erledigt werden sollte, begann er seine Rede mit der Floskel: „Man müsste …“ Darauf reagierte seine Frau üblicherweise mit rollendem „rrr“ auf reinstem „Hochschwäbisch“: „Dr mrr bee immer Iii!“ Leider sind sowohl Rötelzeichnung als auch Tonkopf Opfer der allgemeinen Wirren geworden. Allerdings konnte ich eine von ihm kolorierte, signierte und datierte Federzeichnung retten, die das Schloss von Südosten zeigt (siehe oben). Professor Peter Otto Heim (1896-1966) war Schüler von Alfred Lörcher und in dessen Nachfolge Professor an der Kunstakademie in Stuttgart. 1955 schuf er beispielsweise das auf dem Killesberg aufgestellte steigende Pferd, Symbol des Stuttgarter Stadtwappens.

Im Mai 1945 brach das heillose Übel über die Familie herein. Die bis nach Wildenstein mit seinen damals etwa 800 Einwohnern vorgerückten amerikanischen Truppen forderten Unterkunft im Schloss für bis zu 200 Militärs. In der späteren Schadenserklärung (Claim for damage) unserer Mutter, abgegeben im Beisein der Zeugin Helga Bernt vor dem Landratsamt Crailsheim vom 5. Januar 1947 heisst es: „Das Schloss wurde beschlagnahmt für die amerikanischen Truppen. Dazu der gesamte Park und ein Acker für die Panzer und Lastwagen Parks … Hauptschaden durch Zerstörung und Mitnahme“, während der „Besatzungszeit vom 26. Mai bis 17. Oktober 1945“. Die Besatzer machten kurzen Prozess und verwiesen sämtliche Bewohner mit sofortiger Wirkung des Hauses. Im Handstreich war unser Schloss quasi Eigentum der amerikanischen Militärregierung geworden. Es handelte sich um eine Gesamtfläche von ca. 880 m². Halle, Flure, Treppenabsätze, alle Zimmer und der Dachboden wurden mit Mannschaften belegt. Lediglich die im Parterre liegende Waschküche durfte von uns benutzt, aber ausschließlich durch den Hintereingang des Hauses betreten werden. Damit verblieb uns wenigstens ein Raum zur Zubereitung der Mahlzeiten und zum Waschen der Wäsche. Großzügig hatte man uns gewährt, unter der wenige Schritte vom Haus entfernt stehenden riesigen Linde im Garten unsere Mahlzeiten einzunehmen. Kurz gesagt: Jene hatten die ganze Familie im Handstreich ausquartiert. Sie waren schließlich die Sieger in einem furchtbaren Krieg, den wir ihnen allerdings erklärt hatten, womit ich persönlich eigentlich nichts zu tun hatte. Glücklicherweise profitierten wir von einem prächtigen Sommer.

Schon vor der Zeit unserer Großeltern hielt sich in der Familie und im Dorf hartnäckig die Legende, dass es im Schloss spuke. Offenbar hatten auch die Amerikaner davon erfahren. Nach der Überlieferung handelte es sich nicht nur um akustische Phänomene (Poltergeister), verschiedenartige Musik, gelegentliches Lachen oder Kichern und Kinderweinen, sondern auch um optische Erscheinungen von Gestalten. Beispielsweise waren angeblich kleine Kinder gesehen worden, ein Kobold, ein Kapuzinermönch oder Tippelbruder und schliesslich die legendäre „weisse Frau“. Letztere erschreckte einen Offizier in prekärer Situation fast zu Tode. Während er in der Badewanne sass, soll auf der Türschwelle zum Badezimmer plötzlich eine weiss gewandete Frau gestanden haben. Seine Aufforderung, den Raum zu verlassen, missachtete sie. Als er sie hinauswerfen wollte und nach ihr griff, fasste er ins Leere. Daraufhin soll er splitternackt und schreiend durch die Frau hindurch auf den Flur zu seinen Kameraden geflüchtet sein. Diese Episode hat dazu geführt, dass sich nicht nur die lokale Presse für die Spukerscheinungen interessierte. Selbst Professor Dr. Hans Bender, Gründer des „Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene“, erschien mitte der fünfziger Jahre bei uns, um die „Geister“ zu untersuchen. Seine Tonbandaufnahmen der Schilderungen der Hausbewohner sind noch heute in dem Freiburger Institut vorhanden. Zusammenfassungen finden sich bei Elmar R. Gruber: Suche im Grenzenlosen, Hans Bender – ein Leben für die Parapsychologie, Köln 1993; ausserdem bei von Andrew MacKenzie: The Seen and the Unseen, London 1987. Sogar der Süddeutsche Rundfunk stand 1955 mit einem grossen Übertragungswagen vor dem Haus, um eine Reportage über die angeblichen Wahrnehmungen aufzuzeichnen. Die Sendung lief am 25.1.1955 über den Äther, bezeichnenderweise zwischen 23 und 24 Uhr, gewissermassen zur Geisterstunde.

Nach 1954 wurde die bewährte „Kegelbahn“ im Obergeschoss von einer jungen Familie aus dem Harz benötigt. Der Zahnarzt Dr. Helmut Meindl, seine Frau Else, ihrer Mutter Frau Nathe und das Ende 1942 geborene Söhnchen Armin fanden nach weiter Irrfahrt aus dem Harz bei uns Unterkunft. Der Vater hatte nach seiner Flucht vor den Russen, den Engländern und den Amerikanern Zahnmedizin in Berlin studiert. Frau Else überquerte mit dem Jungen bei Wernigerode die von den Russen nicht zu streng bewachte Grenze der Sowjetischen Besatzungszone gen Westen. Nach weiterer Irrfahrt fanden sie endlich ihre Bleibe bei uns im Schloss, wo sie einige Jahre verbrachten. Der Vater praktizierte viele Jahre als Zahnarzt im Parterre des schon vor Jahren abgerissenen Rathauses in der Wirtsgasse und baute für die nun um das Töchterchen Monika vergrösserte Familie ein Einfamilienhaus „Im Kapellbusch“. Dr. Meindl nannte mich immer „Ferscht“, was man mir als „Fürst“ übersetzte. Zu den erwähnten Spukerscheinungen ist noch anzumerken, dass der „Schlossgeist“ in Dr. Meindl wohl ein dienstbares Medium gefunden hatte. Meines Erachtens berichtete uns keiner so viel über den „Tippelbruder“ und andere seltsame Erlebnisse wie er. In der Rückschau würde ich ihn heute als Realist und aufgeklärten Zeitgenossen bezeichnen, der übersinnliche Erscheinungen als „Firlefanz“ abtat. Unser Papa meinte dazu lapidar, „es spinnt halt wieder“. Was mich betrifft, muss ich gestehen, dass ich mich in schlecht ausgeleuchteten Bereichen des Hauses alleine immer etwas fürchtete, besonders dort, wo Dritte Seltsames bemerkt haben wollen. Immer versuchte ich, unheimliche Geräusche auf natürliche Ursachen zurückzuführen, die entsprechenden Orte zu meiden oder gegebenenfalls schleunigst zu fliehen. Bis heute erstaunt mich jedoch, dass sämtliche „Geister“ absolut „sprachlos“ waren.

Großmutter Hildegard, im fortgeschrittenen Alter an Brustkrebs erkrankt, konnte, als die Familie das Schloss verlassen musste, bei der Gemeindeschwester Rosa bei Kilians in der damaligen Wirtsgasse, heute Schloßstraße, unterkommen. Unsere Mutter zog mit uns Buben beim Nachbarn August Walter, genannt Guschtl, im Obergeschoss ein. Die unvertraute neue Umgebung löste bei mir eine solche Unruhe aus, dass ich aus meinem Kinderbett fiel und das Schlüsselbein brach.

Die Besatzer hoben eiligst im Garten Latrinen beträchtlichen Ausmasses aus. Sie hatten alles mitgebracht, was die Truppe benötigte, selbst ausreichend eiserne Bettgestelle.Vor dem Schloss wurde die Feldküche mit riesigen Suppenkesseln eingerichtet. Als Küchenhelfer engagierten sie Dorfbewohner wie beispielsweise Karl Büttner. Der sogenannte Rattel, bester Freund Michaels, konnte den 15jährigen zum Kartoffelschälen mit in den Küchenbetrieb einschleusen. Schon bald schlug Michael mir vor, mich nach unserem Mittagessen an der Hausecke zu postieren. Unbeachtet von den Soldaten erschien er dort pünktlich mit einer riesigen Schüssel Schokoladenpudding. Die brachte ich schnellstens zur Linde, wo die Familie wartete.

In den zahlreichen Räumen des Schlosses hausten die Besatzer wie Vandalen. Alle Möbel, Bilder und anderes Inventar, das von uns nicht rechtzeitig ausgelagert oder sonst in Sicherheit hatte gebracht werden können, wurden entweder beschädigt, zerschlagen, gestohlen oder einfach durch die Fenster hinaus befördert. Ähnlich verfuhr man mit alten Dokumenten des Familienarchivs. Diese und viele teils sehr wertvolle Bücher unserer umfangreichen Bibliothek luden die Soldaten auf ihre Lastkraftwagen und „entsorgten“ alles im Wald. Wenn sie auf alten Ölgemälden Uniformierte entdeckten, schnitten sie die Orden aus deren Uniform heraus und hefteten sie auf ihre Brust. Gelegentlich stachen sie den Dargestellten die Augen mit dem Bajonett aus. Offenbar dünkten manchen Soldaten die drei Toiletten im Haus immerzu besetzt oder der Weg zu ihren Latrinen erschien ihnen zu weit, weshalb sie ihre Notdurft einfach in den Ecken einiger Räume verrichteten. Da kam gelegentlich auch ein zufällig bereit stehender Stahlhelm zupass, der nach der Waffenruhe ohnehin nicht mehr benötigt wurde. An Papier mangelte es nicht, man hatte ja schliesslich auch das Schlossarchiv konfisziert.

Natürlich suchten die Soldaten Kontakte zu den jungen Damen des Ortes und der näheren Umgebung. Manches „Fraulein“ verließ so die Heimat aus Liebe zu ihrem GI. Einzelne kehrten nach Jahren zurück, sprachen dann aber Deutsch nur noch mit starkem englischen Akzent. Ich erinnere mich lebhaft, als ein uninformierter „schwarzer Mann“ mich in der Waschküche im Kreis von amüsierten Frauen auf den Arm nahm. Obwohl er sicherlich freundlich auf mich einredete, ängstigte ich mich derart, dass ich heftig zu weinen begann. Darauf setzte er mich schnellstens wieder auf dem Steinboden ab. Das mir von ihm zugesteckte Stück Schokolade, wahrtscheinlich zur Aufputschung der Frontsoldaten mit Cola oder Pervitin versetzte Verpflegung, wirkte bei mir beruhigend.

Das zurückgelassene Chaos im Haus war unbeschreiblich. In der erwähnten Schadenerklärung wurden sowohl die beschädigten als auch die verschleppten Gegenstände bewertet. Besonders schmerzlich war beispielsweise der Verlust von alten Kupferstichen, Uhren, Porzellan und Gläsern, einer wertvollen Briefmarkensammlung sowie zahlloser Bücher aus der 4000 bis 5000 Bände umfassenden Bibliothek. Die Gesamtschadensumme wurde auf 26.400,-- RM geschätzt! Ob diese Schätzung zu einer Wiedergutmachung führte, ist mir bis heute nicht bekannt.

Noch während der Besatzungzeit erschien plötzlich ein braun gebrannter, mir völlig fremder Anfangvierziger, der behauptete, unser Vater zu sein. Wie sich herausstellte, stimmte es. Seine beginnende Glatze war noch von schwarzem Haar begrenzt. Er trug eine billige Nickelbrille mit dicken Gläsern, ein verwaschenes, lumpiges Hemd, dazu kurze, abgetragene Lederhosen mit Hosenträgern, Kniestrümpfe und „Haferlschuhn“. Aufgrund seiner starken Myopie hatte seine militärische Karriere schon bald in der Etappe als „Obergefreiter Adolf Hitlers“ geendet, womit er oft und gerne kokettierte. Sein Vater hatte es im Ersten Weltkrieg immerhin zum Oberst und der Grossvater im 70er Krieg gar zum General gebracht. Tatsächlich diente unser Vater beim Generalgouvernement-Ost. Wegen seiner Vorkriegstätigkeit bei der Dresdner Bank in Berlin setzte man ihn als Experten für die geplante Währungsumstellung in den besetzten Ostgebieten ein, zunächst in Polen (Krakau), später in der Ukraine (Schitomir und Poltawa). Hier machte er eine unziemliche Bemerkung über die dortigen Generäle, die sich lediglich mit Apfelsienen bewerfen würden. Dies brachte ihm ein lebensbedrohliches Verfahren vor dem Militärgericht ein. Wie er erzählte, wandte er sich hilfesuchend an einen alten Freund der Familie, der ihn vor dem Schlimmsten rettete. Dank der Intervention des früheren Botschafters in Rom und seit 1932 Reichsaussenministers Konstantin Freiherr von Neurath wurde er aufgrund seiner guten Italienischkenntnisse lediglich nach Italien strafversetzt. Der Minister stammte übrigens wie unsere Familie aus dem früheren Königreich Württemberg. In Verona benötigte man unseren Vater schliesslich als Gerichtsdolmetscher. Bei Kriegsende machte er sich in der geschilderten Verkleidung über Sterzing, die Alpen und Innsbruck zu Fuß auf den Weg nach Wildenstein. Weil es für ihn im Schloss wegen der zwischenzeitlich eingezogenen US-amerikanischen Soldaten keinen Platz gab, musste er in unserem winzigen Gartenhäuschen des dem Schloss gegenüber an der Langgasse gelegenen Gemüsegartens längere Zeit auf einem Feldbett kampieren.

Eines Tages sprach eine junge Italienerin namens Delfina aus Verona mit kleinem Kind und einer Freundin bei uns vor. Aus unerfindlichen Gründen bezichtigte sie unseren Vater fälschlich gegenüber den Amerikanern als „hohen Nazi“. Als dieser davon erfuhr, stellte er sie auf Italienisch vor den Soldaten zur Rede, verabreichte ihr eine Ohrfeige und warf sie aus dem Haus. Angeblich verschwand sie zunächst nach Lautenbach; schliesslich soll sie in einem Panzer mit den Besatzern abgereist sein.

Kurz nach der geglückten Heimkehr unseres Vaters hieß es, alle Männer des Ortes sollten sich am Folgetag um 9:00 Uhr am sogenannten Eichele in der Ortsmitte einfinden. Sie würden nach Crailsheim zur „Entnazifizierung“ gebracht. Danach stand Papas Geschmack allerdings nicht. Als begeisterter Pilzliebhaber begab er sich mit unserem Schäferhund Ramor in den nahen Wald auf Pilzsuche. Tatsächlich kehrten manche Männer, die der Aufforderung gefolgt waren, erst Jahre später wieder aus der Kriegsgefangenschaft zurück.

Noch während der Besatzung erschien Tante Annemarie von Haldenwang, die Schwägerin unseres Vaters, mit unserer Kusine Gudrun. Sie waren völlig erschöpft von ihrer hunderte Kilometer langen Fussreise durch Deutschland, zuerst Richtung Böhmen und dann nach Wildenstein. Ihr Mann Otto, der ältere Bruder unseres Vaters, hatte im ersten Weltkrieg einen Unterarm verloren, weshalb er als Major nur für Verwaltungsarbeiten bei der SA herangezogen werden konnte. Bis zu heftigen Bombenangriffen in Koblenz lebte die Familie dort. Beide Söhne, Otto-Bernd und Ulrich, waren im Feld. Tante Annemie hoffte, bei Tante Liesel, ihrer Schwägerin, in Karlsbad den Bomben zu entkommen. Kaum der einen Seite entronnen, näherten sich bereits die Russen. So machte sie sich mit dem elfjährigen Töchterchen auf den gefahrvollen beschwerlichen Weg westwärts zu uns. Ihr einziges Gepäck fand auf einem kleinen Leiterwägelchen Platz. Die arme Gudrun verfügte nur über schlechtes Schuhwerk und war den körperlichen Strapazen kaum mehr gewachsen. Völlig entkräftet trafen sie bei uns ein. Der gütige Nachbar Guschtl fand schließlich für die beiden Heimatlosen noch ein Zimmerchen in seinem Haus. Weder von ihrem Mann noch von den Söhnen hatte die Tante Nachricht. Eines Morgens brachte der Postbote einen Brief für sie. Wortlos verschwand sie damit für eine Stunde. Gefasst berichtete sie dann unserer Mutter, dass Bernd seit 1944 in Ungarn verschollen war. Was für eine grauenvolle Situation! Ungeachtet ihres Leides war sie unsere beste Spielkameradin. Sie konnte auf alle Kinder fabelhaft eingehen. Bald gesellten sich neue kleine Hausbewohner zu uns. Da die Tante als Mädchen des öfteren ihre Ferien in England verbrachte, hatte sie dort ein sehr gutes Britisch-Englisch gelernt. Bis heute habe ich einen Kinderreim nicht vegessen, den sie mir, dem auf ihrem Schoss sitzenden dreijährigen Knirps, geduldig beibrachte:

„Eedle deedle wheedle, our cat is dead.
What did she die with? With a sore head.
Come to her burial tomorrow half past five,
ride on your old mare, if she's alive.“

(„Eedle deedle wheedle, unsere Katze ist tot.
Woran ist sie gestorben? An einer [schlimmen] Kopfwunde.
Komm zu ihrer Beerdigung morgen um halb sechs,
reite auf Deiner alten Stute, sofern sie [noch] lebt.“)

Kurz nach dem Abzug der amerikanischen Truppen kam Michael atemlos zu unserer Mutter gelaufen und berichtete, dass der Guschtl mit seinem Holzvergaser-Lastwagen am Eichele stehe und aus der Kreisstadt Crailsheim mehrere Menschen auf der Ladefläche mitgebracht habe, die im Dorf verteilt werden mussten. Mama sagte spontan: „Geh' und such' Dir welche aus“. Michael kehrte mit sechs Erwachsenen und zwei Mädchen im Kindesalter zurück. Es handelte sich dabei um sogenannten Flüchtlinge aus Iglau im Sudetenland, unbescholtene Deutschstämmige, die von den Tschechen aus revanchistischen Gründen verfolgt wurden. Ihr Eigentum hatte man bereits konfisziert. Sie hatten alles zuhause lassen müssen und nicht einmal Reiseproviant mitnehmen können. Auf diese Weise rächten sich die Tschechen an den vorausgegangenen Gräueltaten der Deutschen unter Rainhard Haydrich, dem Reichsprotektor von Böhmen und Mähren. Frau Achazi, die „Doyenne“ der Gruppe, war eine alte, verbrauchte Frau. Sie und drei ihrer Töchter waren zu uns mitgekommen. Emma und ihr Mann Karl Benda hatten das vierjährigeTöchterchen Ingrid (Inge) mitgebracht. Sie konnten sofort in das sogenannte Burschenzimmer neben der Eingangshalle einziehen. Sophie und Ehemann Otto Taubenkorb, ein ausgebildeter Schreiner, brachten die Tochter Brigitte (Gitta) mit. Diese drei lebten im ehemaligen Zimmer von Fräulein Störmann. Nebenan konnte die dritte Tochter, Fräulein Maria (Mizi) Achazi, die ledig geblieben war, mit der Mutter wohnen. Die vierte Tochter Elisabeth, verheiratet mit Joseph (Pepperl) Pernfuss, zog mit ihren Kindern Hans, der fünfjährigen Elisabeth (Sissy) und dem Kleinkind Peter bei der Familie Messmer in der Ziegelgasse ein. Unsere Eltern statteten die Räume unserer neuen Mitbewohner mit in der großen Scheune ausgelagerten noch brauchbaren Möbeln aus und überließen ihnen die notwendigsten Dinge zum Leben.

Wie Sissy mir berichtete, hatte die Familie, die während der Flucht zusammen bleiben konnte, entsetzliche Erinnerungen an ihren Exodus. Gleich zu Beginn der Deportation im Sommer 1945 wurden ihnen „die Koffer von den Russen abgenommen“. In Viehwaggons reisten sie über Österreich aus, wo der Großvater Achazi im Alter von 61 Jahren starb. Die Grossmutter väterlicherseits musste schon im ersten Lager in Österreich zurückbleiben, weil sie gehbehindert war. Sie “hatten sie nie mehr gesehen“. In den Lagern herrschten furchtbare Verhältnisse, einmal hauste die elfköpfige Familie in einem Raum, wo man sich kaum rühren, geschweige denn im Schlaf Erholung finden konnte. In der Nähe von Wien bekam Sissy die Windpocken. Zu Weihnachten erhielt sie zwei Farbstifte, womit sie wenigstens Blumen zeichnen konnte. Auf ihrer Reise seien mindestens 40 Säuglinge verstorben, die während der Fahrt zum Fenster hinausgeworfen wurden. Nach mehreren Lageraufenthalten gelangten sie schließlich nach Backnang, wo Sissy wegen einer Augenverletzung ärztlich versorgt werden musste. In Wildenstein endlich am Ziel angekommen, war Peter nicht mehr imstande zu gehen und hatte “eigentlich alles neu zu erlernen“. Am meisten schämte Sissy sich anlässlich der Einschulung in Wildenstein vor den anderen Erstklässlern, da die Mutter ihr nur einen aus Pappdeckeln zusammengeschusterten Schulranzen mitgeben konnte. Die Flucht wurde von der ganzen Familie so traumatisch empfunden, dass alle Mitglieder später unter keinen Umständen mehr darüber sprechen konnten. Noch heute bedauert sie, dass man sie und ihre Verwandten in der neuen deutschen Heimat diskriminierend als „Zigeuner“ beschimpft hat.

Die neuen Mitbewohner stellten sich für unsere Familie in jeder Hinsicht als vorteilhaft heraus. Am wichtigsten für ihre problemlose Eingliederung in die neue Situation war wohl, dass sie zwar einen anderen Dialekt sprachen, ähnlich dem österreichischen, der aber für jedermann ohne weiteres verständlich war. Die Männer fanden sofort Arbeit, am leichtesten natürlich in dem in ihrer Heimat ausgeübten Beruf. So wurde Herr Taubenkorb als gelernter Tischler schon bald in der Schreinerei von Karl Riedel eingestellt. Die Herren Benda und Pernfuss fanden zunächst ebenfalls Arbeit in unseren drei Sandgruben und konnten so ihre Familien ernähren. Der Wildensteiner Sand wurde dringend benötigt für den Wiederaufbau der zu 80 % durch Bomben zerstörten Kreisstadt Crailsheim. Schwieriger war es für die Flüchtlinge, die beispielsweise aus der Batschka kamen (unter den Habsburgern hauptsächlich „Donauschwaben“ aus Österreich-ungarischen Gebieten), keinen Beruf erlernt hatten und Deutsch nur mit starkem Akzent (oft Anfangsbetonung wie im Ungarischen) sprachen. Aber auch diese konnten einfachere Arbeiten bei den Handwerkern und die Frauen beispielsweise im Haushalt ausüben. Ihre Kinder taten sich erheblich schwerer in der Schule. Die soziale Integration erfolgte besonders bei den Sudetendeutschen spielend. Die Jungen zeigten bald beim Fußballspiel als gleichwertige Kräfte ihr Talent und bewiesen sich in der Erlernung eines aussichtsreichen Berufs. Die Mädchen zeigten sich oft den Schulkameraden überlegen, einige entschlossen sich sogar für ein Studium. Die Eltern pflegten im Familienkreis das Liedgut ihrer Heimat, wobei regelmässig Tränen flossen. Sie legten in ihrer Freizeit wie zuhause für den Eigengebrauch kleine Mohn- oder Tabakfelder an. Als zumeist praktizierende Katholiken verkleideten sie sich in der Weihnachtszeit gerne für uns als Nikolaus. Überhaupt waren sie sehr kinderlieb und verbrachten ihre Freizeit mit Karten- und Brettspielen oder „Schlapp hat den Hut verloren“. Besonders an Fastnacht wurde im geräumigen Esszimmer von Jung und Alt völlig ausgelassen getobt, bis schliesslich die alte Frau Achazi die Türe einen Spalt öffnete und ihre Enkel ermahnte: „Ingai, Sissay, Gittai, Petei, Hansl kommt endlich ins Bett!“ An einen in unserer Gegend unbekannten Osterbrauch erinnere ich mich noch lebhaft. Mit selbstgeflochtenen Weidenruten besuchten die jüngeren Männer am liebsten junge Mädchen, aber auch Frauen, die sie unter leichten Rutenstreichen im Iglauer Dialekt um Ostereier baten. Dies hörte sich etwas holprig an:

„Ostern, schmigostern, gebt's mer bunte Eier, wenn's kaane roten habt's, so gebt's mer weisse, dass Euch die Flöh net beisse.“

Da die Angebettelten oder besser gesagt Angebeteten gelegentlich zu früher Stunde vielleicht noch im Bett liegend angetroffen wurden und auf die etwas prekäre Situation vorbereitet waren, blieben sie unter großem Geschrei und Gelächter vor ernsthafteren Folgen verschont.

Bald schon ergaben sich ernsthafte und dauerhafte Verbindungen mit den Einheimischen. Mit günstigen Bau-Darlehen haben die Städte viele fleissige, von uns lieb gewonnene Flüchtlinge weggelockt, womit wir Kinder uns schweren Herzens abfinden mussten.

Wegen der katastrophalen Zerstörungen in Berlin floh das Ehepaar Bernt um 1947 nach Konstanz am Bodensee. Onkel Adolf, Diplomarchitekt, und Frau Helga zogen kurzfristig zu ihren Verwandten in die Villa Büdingen an der Seestrasse zur Schwester Irmgard, erste Gattin unseres Onkels Maximilian Freiherr Hofer von Lobenstein, Chefarzt am dortigen Krankenhaus und Bruder unserer Mutter. Aus angeblichem Platzmangel sandte man Bernts schliesslich nach Wildenstein, wo die „Kegelbahn“ wieder einmal vakant war.

Hier angekommen reizte Onkel Addi das Gerücht, dass jedes ordentliche Schloss einen unterirdischen Gang besitze. Diese Vorstellung stellte unseren Architekten vor eine fachliche Herausforderung. In einem an die Halle angrenzenden kleinen Kämmerchen glaubte er, die Suche beginnen zu können. Der Boden war dort lediglich aufgeschüttet, so dass seine Grabungsversuche bald zu einem Ergebnis führten. Nach wenigen Spatenstichen tat sich in halber Mannshöhe ein kleines Loch auf. Hinunterfallende Steinchen erzeugten ein rätselhaftes Klirren. Schnell fanden wir heraus, dass Onkel Addi trotz profunder Berechnung im Keller gelandet war und die Steinchen zwischen den Flaschen der dort stehenden Weinregale den Spuk beendeten. Der unterirdische Gang wurde tatsächlich später gefunden, als aussen an der Ostseite des Hauses tiefer aufgraben werden musste.

Tante Helga fand ich sehr sympathisch, weil sie mich gerne auf dem Arm herumschleppte. Onkel Addi hatte hingegen anscheinend der Teufel geritten, als er sich unserem jungen hübschen Kusinchen Gudrun unsittlich genähert haben soll. Dies blieb Tante Annemie nicht verborgen, sodass sie dem Unhold eine saftige Backpfeife verabreichte. Möglicherweise beschleunigte dieser peinliche Zwischenfall die Abreise der Familie. In Marburg avancierte der Onkel zum Stadtbaumeister. 1951 trug er sogar wesentlich zur Darstellung der „Architekturgeschichte des Bürgerhauses“ in der grössten Enzyklopädie Mitteleuropas auf dem Gebiet der Kunstgeschichte bei.

Schon bald nach dem Abzug der Amerikaner bat uns der wohlhabende Sinti Jakob Reinhard, seinen Salonwagen der Luxusklasse, aus hellem Fichtenholz gefertigt, mit Fenstern und ausfahrbarer Veranda in unserem Garten für längere Zeit abstellen zu dürfen, was ihm natürlich erlaubt wurde. Jackl, oder Schnuckenack, wie ihn die Jenischen nannten, bezeichnete sich selbst als „Hausierhändler“. Angeblich stammt sein Übername aus dem Jenischen tschuggere Nack was soviel wie hübsche Nase bedeutet.

Was ist inzwischen mit dem Schloss, unserer „Fluchtburg“, geschehen? Der bis ins Jahr 1512 zurückreichende Renaissancebau war nebst Wäldern, Wiesen und Fischteichen seit 1662 im Besitz unserer Vorfahren, den Freiherrn Hofer von Lobenstein, bis unser Vetter es 2009 an Waldemar Freiherr Walzel von Wiesentreu verkauft hat. Dessen Familie stammte übrigens aus dem Böhmischen, eben aus Wiesen oder Wiesentreu nahe Königgrätz im Sudetenland. Seit dieser 2016 verstorben ist, steht es verwaist und erneut zum Verkauf.

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